Jul

2018

Frank Winterfeldt, OV Pforzheim: Vor 50 Jahren – Tornado über Pforzheim – Tote, Verletzte, beschädigte Häuser, Sachschäden in Millionenhöhe

Es geschah am Mittwoch, 10. Juli 1968. Nach einem schwülen Hochsommertag  färbte sich der Himmel über der Goldstadt Pforzheim bedrohlich schwefelgelb. Zwischen 21:30 Uhr und 21:50 Uhr brauste aus heiterem Himmel ein Tornado über die Region hinweg. Der auf den Boden reichende Luftschlauch rotierte mit einer Geschwindigkeit von über 300 km/h. Dies berechneten später  Experten des Instituts für Baukunde aufgrund der massiven Zerstörungen an umgeknickten Strommasten. Im urbanen Bereich und auch in den Wäldern hinterließ der Tornado innerhalb weniger Minuten schwerste Zerstörungen. Auf der fünfteiligen Fujita-Skala, benannt nach einem amerikanischen Sturmforscher, erreichte der Tornado die Intensitätsstufe 4, die als „verheerend“ beschrieben wird.

Der Wirbelsturm, der zuerst über die französischen Vogesen im Westen und danach über die heutigen Landkreise Karlsruhe, den Enzkreis und den Süden der Stadt Pforzheim hinweg zog, schlug in der Region Nordschwarzwald eine 35 Kilometer lange und bis zu 500 Meter breite Schneise der Verwüstung. In der Gemeinde Ottenhausen starb ein Ehepaar durch den Wirbelsturm. In der Stadt Pforzheim wurden 200 Menschen durch umherfliegende Trümmerteile zum Teil schwer verletzt. 140 Menschen hatten buchstäblich kein Dach mehr über dem Kopf. Autos wurden vom Sturm wie Spielzeug durch die Luft gewirbelt, Hochspannungsmasten einfach abgeknickt. Über 2000 Häuser wurden durch Druck- und Sogwirkung beschädigt, ganze Dächer komplett abgedeckt, die Ziegel vollständig herunter geweht  und Tausende von Bäumen einfach entwurzelt. Sechs Gittermasten einer 110 kV-Freileitung der Stromversorgung knickte der Tornado einfach um. Das gesamte Ausmaß der gewaltigen Schäden konnten die Verantwortlichen erst am nächsten Morgen bei Tageslicht erkennen. Dann lief die Maschinerie der Hilfe an. Einsatzkräfte von Feuerwehr, Deutschem Roten Kreuz, Technischem Hilfswerk, den französischen und den amerikanischen Streitkräften kamen 14 Tage lang bei Sicherungs- und Aufräumarbeiten zum Einsatz. Unterstützung schickte auch die Bundeswehr, die aus nahe gelegenen Standorten handwerklich ausgebildete Soldaten, überwiegend  Zimmerleute und Dachdecker, ins Katastrophengebiet schickte.  Zahlreiche  Vereine und private Initiativen halfen mit, die Schäden zu beseitigen. Der damalige Bundeskanzler Kurt Georg Kiesinger, sein Außenminister Willy Brandt und der baden-württembergische Ministerpräsident Hans Filbinger machten sich vor Ort ein Bild von den verheerenden Schäden. Starke Polizeikräfte mussten eingesetzt werden, um Katastrophentouristen, die mit organisierten Busreisen nach Pforzheim kommen wollten, an den Stadtgrenzen abzuweisen.

Wie Spielzeug wirbelte der Sturm Fahrzeuge herum (Fotograf: Bischoff)

In der Bleichstraße stürzten Bäume auf abgestellte PKWs (Fotograf: Notton)

THW schickte aus allen Teilen Baden-Württembergs Hilfe ins schwer getroffene Pforzheim

Der schnelle Einsatz von Hilfskräften aus nicht betroffenen Bereichen an Schadensschwerpunkten war schon vor 50 Jahren eine Stärke des Technischen Hilfswerks.  In Pforzheim und Umgebung kamen rund 350 ausgebildete Helferinnen und Helfer mit über 50 Einsatzfahrzeugen aus den THW-Ortsverbänden Backnang, Eberbach, Esslingen, Freiburg, Haßmersheim,  Heidelberg, Heilbronn, Karlsruhe, Kirchheim/Teck, Kirchentellinsfurt, Leonberg, Ludwigsburg, Mannheim, Mühlacker, Neuenbürg-Arnbach, Niefern-Öschelbronn, Ofterdingen, Pforzheim,  Reutlingen, Rottenburg/Neckar, Rußheim, Stuttgart, Tübingen, Weinsberg, Wiesental und Wildberg zum Einsatz. Schwerpunkte des Einsatzes waren der Betrieb von Sprechfunk- und Feldfernsprechverbindungen durch den damaligen Fernmeldezug unter Leitung von Erich Dihlmann. Führungskräfte unter Leitung des damaligen Ortsbeauftragten Werner Landauer wirkten in der Einsatzleitung der Stadt Pforzheim mit. In einer ersten Phase wurden alle Zufahrtsstraßen mit Unterstützung der Bergungsgruppen geräumt und wieder befahrbar gemacht. Danach sicherten die Helfer bauliche Gefahrenstellen und beseitigten umgestürzte Bäume. Dabei kamen auch Sprengtrupps zum Einsatz. In einer dritten Phase unterstützten Fachhelfer der Elektrotrupps die Stadtwerke Pforzheim bei der Wiederherstellung einer provisorischen Stromversorgung. Die Arbeiten in der Stadt und den Wäldern dauerten über 2 Wochen an. Bei den gefährlichen Aufräumarbeiten wurde ein Dachdecker getötet, weitere 130 Personen wurden verletzt.

Von den Dächern wehten die Dachziegel herunter (Fotograf Hurst)

Gefährliche Arbeiten in luftiger Höhe: Sicherung eines zerstörten Kamins (Fotograf: Kretschmer)

Beweis für die Kraft des Tornados: Vor einem bekannten Autohaus im Industriegebiet Brötzinger Tal hat der Tornado einen Hochspannungsmasten einfach umgeknickt (Fotograf: Kraus)

In der Bleichstraße in Pforzheim geht eine Gruppe des THW in den Einsatz. Um 21.50 Uhr am Abend des 10. Juli 1968 ist die Uhr stehengeblieben (Fotograf: Bischoff)

Bis zu 60 Tornados unterschiedlicher Stärke registriert der Deutsche Wetterdienst jährlich in seinem Zuständigkeitsbereich. Zuletzt traf ein Wirbelsturm Mitte Mai 2018 die Stadt Viersen in Nordrhein-Westfalen. Der Tornado, der vor 50 Jahren über Pforzheim  und der Region Nordschwarzwald hinweg fegte, gilt bis heute als einer der verheerendsten in Deutschland.