Dez

2014

Sylvia Matthausen / Christian Pietzka: Tsunami 2004 – SEEBA-Einsatz in Thailand

Einsatzbericht zum THW-Auslandseinsatz Tsunami 2004 in Thailand von Sylvia Matthausen und Christian Pietzka SEEBA NW (SEEBA-Einsatz vom 28.12.2004 – 02.01.2005) 

Es war das schwerste Beben seit 40 Jahren, das sich am 2. Weihnachtsfeiertag tief unter der Küste von Sumatra ereignete. Es löste bis zu 10 Meter hohe Flutwellen aus.  In Thailand war besonders die touristisch erschlossene Küste um Phuket und Phi Phi von den Flutwellen betroffen.

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Bereits einen Tag nach der Katastrophe ist ein Erkundungsteam des THW in Sri Lanka angekommen und bereitete in Galle den Einsatz der SEEWA vor und prüfte weitere konkrete Einsatzoptionen im Bereich Trinkwasser, Brunneninstandsetzung und Infrastruktur.

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Die Todes- und Vermißtenmeldungen stiegen stündlich und nahmen ungeahnte Ausmaße an.
Diese dramatischen Meldungen haben dazu geführt, daß am Montagabend gegen 18.00 Uhr, vom Bundesinnenministerium ausgehend, über die Geschäftsstelle Wesel der OV Bocholt alarmiert wurde. Wir sollten die Behörden, neben der Suche nach Verschütteten, im Bereich der Einsatzkoordination unterstützen.

Bis zu diesem Zeitpunkt hatte keiner von uns damit gerechnet, daß es zu einem Einsatz der SEEBA kommen würde, denn diesmal war alles anders als bei einem „normalen Erdbeben“, wo in den eingestürzten Gebäuden Hohlräume entstehen und so den Menschen eine Überlebenschance bieten. Die Flutwelle kam bis zu dreimal und hat alles mitgerissen, was ihr im Weg stand. Die Keller und die unteren Geschosse sind voll gelaufen. Ein Entrinnen kaum möglich.

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Es hieß, wir sollen einige große Hotelanlagen absuchen, in denen auch mehrere hundert Deutsche ihren Urlaub verbrachten. Wer weiß, vielleicht gab es auch eingestürzte Geschosse, die nicht überflutet wurden oder es haben sich in Hohlräumen Luftblasen gebildet? Und wie heißt es so schön: Die Hoffnung stirbt zuletzt! Wenn uns auch die Chance, hier noch Leben zu retten, fast unmöglich erschien, so wußten wir doch, daß gerade diese Hoffnung und der Glaube daran schon einigen Menschen das Leben gerettet hat.

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Für einige unserer Helfer wurde der Einsatz schon auf dem Weg zum OV wieder abgebrochen. Übrig blieben nur noch wir, Christian Pietzka (Bergung) und Sylvia Matthausen mit Rettungshund „Zibo“ (Ortung). Auch für Christian stand der Einsatz nur zu 50% fest. Wir hofften nur, daß wir zumindest zu zweit los konnten. Nur zu gut wußten wir, wie wichtig der Zusammenhalt und das Vertrauen in der Gruppe gerade in so einem Einsatz ist. Da war einem ein vertrautes Bocholter Gesicht, das man aus vielen gemeinsamen Übungen und Einsätzen u.s.w. kennt, schon sehr lieb. Weiter ging es dann zum OV Rüsselsheim, wo wir auf die restlichen 13 Helfer aus HE/RP/SL trafen (in Thailand kamen noch 3 THW-Helfer hinzu). Gemeinsam fuhren wir zum Frankfurter Flughafen. Um 2.00 Uhr war es soweit und wir saßen im Flieger Richtung Phuket. Da es ein Sonderflug war – die Maschine sollte Urlauber aus Thailand abholen- hatten wir das Flugzeug ganz für uns und auch für unsere drei mitgeführten Hunde blieb noch genügend Platz im Passagierraum.

Am Dienstag, 28.12. um 20.15 Uhr Ortszeit (14.15 MEZ), sind wir in Phuket gelandet. Von dort ging es ca. 120 km weiter nach Phang Nga. Ziel war das Gelände der Feuerwehr in Takua Pa, wo sämtliche Rettungskräfte untergebracht waren. Noch in der Nacht machte sich ein Erkundungsteam auf den Weg durch das am meisten betroffene Gebiet, um sich einen Überblick zu verschaffen. Einheimische Kräfte hatten das Schadensgebiet bereits in Sektionen eingeteilt.

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Am Mittwochmorgen wurde erst das Ausmaß der Katastrophe sichtbar. Hunderte von Meter sind die Wassermassen ins Landesinnere vorgedrungen und haben ein Chaos von Müll und Schutt hinterlassen. Alles, außer die festen Fundamente, wurde zerstört oder einfach beim zurückfließen des Wassers mit ins offene Meer hinaus gerissen. Zu dem uns zugeteilten Einsatzgebiet gehörte unter anderem das Hotel „Magic Lagoon“ in Phang Nga. 70 % der Magic-Lagoon-Gäste waren Deutsche. Einheimische Kräfte hatten offensichtlich schon alles erkundet.

Die frei liegenden Toten waren schon eingesammelt. Das groh des Militärs suchte heute die anliegenden weitreichenden Palmenwälder ab. Fast im Minutentakt wurden weitere Leichen herbei getragen.

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Über der Hotelanlage lag eine gespenstische Stille, nur stellenweise herrschte ein emsiges Treiben. Helfer waren damit beschäftigt, eingeklemmte/ verschüttete Leichen zu befreien. Mit unserem techn. Gerät konnten wir hier wertvolle Hilfe leisten, denn außer Brechstangen, Schaufeln und Muskelkraft besaßen sie nichts. Die schweren Räumgeräte, die auch schon überall zu sehen waren, wären nicht dazu geeignet gewesen.

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Bevor die toten Körper zur Sammelstelle gebracht werden konnten, dokumentierte unser SEEBA- Arzt wichtige Fakten, die für eine spätere Identifikation wichtig sind. Ebenso wurden Dokumente gesammelt und weiter geleitet.

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Während ich, Sylvia, bei unserem LKW Wache hielt, auf dem auch unsere Hunde auf einen eventuellen Einsatz warteten, konnte ich Augenzeuge einer „Lebendrettung“ werden: Einheimische fischten eine riesige Meeresschildkröte aus einem kleinen Tümpel und trugen sie ins Meer zurück. Wenn es auch „nur ein Tier“ war, so war doch die Freude der Einheimischen sehr groß.

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Nach einem anstrengenden Tag bauten wir abends im Basecamp unsere Zelte auf. Was essen und dann endlich aus den Stiefeln heraus, das war wohl der Wunsch aller Helfer. Aber die Ruhe sollte nicht lange währen. Deutsche Helfer hatten Stimmen und Klopfgeräusche gehört und unsere Ortung angefordert. Alles war wieder hellwach, auch wenn beim Anblick der Schadenstelle die Möglichkeit auf Überlebende sehr unwahrscheinlich war, so hoffte man doch auf ein Wunder. Unsere Hunde machten eine Lebendanzeige! Leider war es nur die Witterung des Baggerführers, der sich von unseren Helfern unbemerkt wieder auf sein Gefährt zurück begeben hatte.

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Die techn. Ortung konnte zu keinem Ergebnis kommen. Unsere Helfer hatten zusammen mit der anderen deutschen Einheit noch angefangen, die Reste des Hauses abzutragen. Eine abschließende Suche mit unseren Hunden ergab, daß es hier aber absolut keine menschliche Witterung, weder tot noch lebend, gab. Erschöpft rückten alle Helfer gegen 2.00 Uhr wieder ab.

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Im Camp zurück, fielen wir müde in unser Feldbett, um nach ein paar Stunden Schlaf, zwar fit aber desillusioniert, weitere Hotelanlagen zu erkunden. Anhand des Wasserstandes, der sich an den Fassaden und den Stämmen der Palmen abzeichnete, mußten wir erkennen, daß kein Mensch noch lebend in den Trümmern liegen konnte. Somit gab es wiederum keine Einsatzoptionen für unsere Hunde. Auch die Einheimischen hatten keine Hoffnung, noch Lebende zu finden.

Während wir ein Hotel am Strand nach Verschütteten bzw. Leichen absuchten, hatten wir die Angst vor einem herannahenden Tsunami am eigenen Leib spüren müssen; aus Indien kam eine Tsunami-Warnung. Die Küstenwache hat dort eine höhere Welle gesehen. Innerhalb weniger Minuten war der Strand geräumt und wir zogen uns nach kurzer Besprechung ins nahe gelegene Gebirge zurück. Glücklicherweise hat sich der Alarm als Fehlalarm erwiesen. Es ist ein seltsames Gefühl, wenn man mit einem Tsunami rechnen muß.

An vielen Stellen wurde schon kräftig aufgeräumt. Strom- und Versorgungsleitungen wurden repariert und mit schwerem Gerät die Schuttberge beseitigt. Von vielen Einheimischen und auch Urlaubern wurden wir gefragt, ob die von uns mitgeführten Hunde Leichen suchen – selbst Kinder fragten danach.

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Auf die Antwort, daß es Rettungshunde seien, sie also lebende Personen suchen, reagierten sie sehr verwundert. Die Menschen hier vor Ort hatten also schon sehr realistisch ihre Lage eingeschätzt. Noch nie zuvor hatten wir so viele Tote gesehen. Überall lag Leichengeruch in der Luft. Die Hitze (30 Grad Celsius und mehr), das Salzwasser und die hohe Luftfeuchtigkeit ließen den Verwesungsprozeß sehr schnell voranschreiten.

Die Körper hatten sich oft so stark verändert, daß es uns schwer fiel, darin noch ein menschl. Wesen zu erkennen. Genauso erging es uns auch bei dem kleinen Kind, das unter einer Betondecke eingeklemmt war. Mit unserem Kombigerät Schere/ Spreizer halfen wir bei der Bergung.

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Dieses Kind konnte später identifiziert werden. Es war Zufall, daß unser Arzt es auf einem Flugblatt wiedererkannte. Als man später das fröhlich schauende Kindergesicht auf dem Foto sah, hat es einem doch die Sprache verschlagen.

Ein weiterer frustrierender Tag ging zu Ende. Mittlerweile hatte sich das Areal der Feuerwehr zunehmend mit militärischen Hilfskräften gefüllt. Abends reiste noch ein SAR-Team mit Suchhunden aus Deutschland an und baute neben uns ihre Zelte auf.

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Am Morgen des 31. Dez. wurden wir verlegt, da es hier für uns nichts mehr zu tun gab. Nun galt es, weiter südlich auf einer Halbinsel unsere Arbeit aufzunehmen. Danach ging es weiter nach Phuket. Hier wurden wir in einem Hotel untergebracht. Die Flutwellen konnten an diesem Küstenabschnitt nur wenig Schaden anrichten, da die Hotelanlage etwas über dem Meer liegt und nach vorne, seitlich durch einen Landstreifen geschützt ist. Der Strand ist überwacht (u.a. wegen der Haie). Als sich das Wasser aus der Bucht zurückzog, hat der Lifeguard rechtzeitig Alarm gegeben.

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In der darauf folgenden Zeit unterstützten wir das Bundeskriminalamt, in dem wir die logistischen und technischen Voraussetzungen schafften, damit die Beamten ihrer Arbeit, die Leichenidentifizierung, nachgehen konnten. Den Silvesterabend verbrachten wir gemeinsam mit den BKA’lern im Hotel. Aber so richtige Silvesterstimmung wollte einfach nicht aufkommen. In schmutziger THW-Kluft kamen wir ins neue Jahr – nicht so, wie man sich einen Jahreswechsel vorstellt.

Sonntag 01.01.05: Wir Beide machten gerade unseren Dienst im BKA- Camp, als man uns die Nachricht brachte, daß noch heute Abend unser Flieger nach Hause geht. Auch wenn wir die Gastfreundschaft der netten Beamten zu schätzen wußten – sie hatten uns sogar zum Mittagessen direkt neben den Leichencontainern (leider war einer etwas undicht) eingeladen – so waren wir doch froh, daß wir nach Hause durften, denn wir konnten unserer eigentlichen Aufgabe, der Menschenrettung, hier nicht mehr nachkommen.

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Für die drei Hundeführer und drei weitere Helfer war damit der Einsatz beendet.
Wir gingen mit „Zibo“ ein letztes Mal zum Strand, wo der Hund sich den Staub aus dem Fell spülen konnte. Erstaunlicher weise scheint den Hunden (wenn sie denn nicht zu gut „im Futter“ sind) der Klimawechsel nichts aus zu machen. Ein letzter Blick noch auf das Meer, im Gedanken daran, was das Wasser ausrichten kann – und weg waren wir.

Von Phuket aus über Bankok ging es zusammen mit vielen anderen Hilfskräften zurück nach Frankfurt. Unser SEEBA- Arzt wurde direkt beim Betreten des Flugzeugs mit der Bitte abgefangen, eine schwerverletzte Person während des Fluges zu betreuen.
Gut ausgeschlafen kamen auch unsere drei Hunde nach ca. 16 Stunden Flugbox-Aufenthalt gegen 6.30 Uhr in Frankfurt an, wo wir schon von den Helfern der SEEBA-Lift sowie zwei Notfall-Seelsorgern in Empfang genommen wurden. Sehr glücklich waren wir über die Entscheidung, uns den sonst üblichen Presserummel am Flughafen zu ersparen. Im OV Rüsselsheim wurden wir von zahlreichen Helfern empfangen. Nach einem halbstündigen gemeinsamen Gespräch war für uns der Einsatz endgültig beendet und unsere Bocholter Helfer brachten uns zurück zum Ortsverband.