Dez

2014

Peter Görgen: Tsunami 2004 – Erkundung in Sri Lanka

Einsatzbericht zum THW Auslandseinsatz Tsunami 2004 in Sri Lanka von Peter Görgen

(Erkundungseinsatz vom 27.12.2004 – 07.01.2005)

– eine persönliche Einsatznachlese zum Einsatz in Sri Lanka –

Weihnachten 2004- Eine Familienfeier, fröhliches Familientreffen in Bonn.

00:58h ein Erdbeben der Stärke 9,1 im Pazifischen Ozean – in der Folge ein gewaltiger Tsunami geht über die Weltmeere und trifft kurze Zeit später auf Sri Lanka. Es folgt eine gewaltige Katastrophe mit tausenden toter Menschen rund um den Pazifischen Ozean.

16:30h Bonn. Ich gehe mit meiner Familie und Freunden nach dem gemütlichen Weihnachtsessen am Rhein spazieren. Heitere Gelassenheit, der Tsunami ist weit weg!.

Die THW-Leitung ruft an: „Kannst Du um 21:00h in den Einsatz nach Sri Lanka fliegen? Es geht ein leerer Urlauberflieger,  der Urlauber evakuiert und wir können mitfliegen.“

Klare Antwort nach einer kurzen Abstimmung mit meiner Frau: „Ich bin bereit. Wann und wo treffen wir uns?“ „Der Fahrer kommt Dich in einer Stunde abholen und dann geht es direkt nach Düsseldorf zum Flughafen; weiteres folgt“

18:00h kurze Lagebesprechung/Briefing in der Leitung, Werner Stumpf und Peter Bytomsky (heute heißt er Peter Goxharaj) sind auch da.
Wir drei sollen unmittelbar abfahren nach Düsseldorf – der Präsi will auch noch mit, um uns zu verabschieden.

18:30h geht es mit Sonderrechten ab zum Düsseldorfer Flughafen.

Abflug Düsseldorf

Ca. neun Stunden Flug liegen vor uns. Die Maschine ist bis auf 15 Personen leer, darunter 4 Rot-Kreuz- Helfer, ein wenig Presse und wir 3 THWler.

Gegen 15:00h Ortszeit kommen wir in Colombo an. Die Stadt scheint normal, kein Anzeichen einer Katastrophe. Noch am Flughafen organisieren wir ein Taxi, dann geht es zum Hotel. Aber alles ist belegt. Peter B. richtet eine provisorische BoO in der Lobby ein.

Werner und ich fahren mit dem Taxi weiter Richtung Süden nach Galle. Auf der Fahrt nach Süden nehmen mit jedem Kilometer die Schäden auf Grund des Tsunamis zu. Vor uns fahren Fahrzeuge, Pickups, zuerst sehen wir nicht, was sie geladen haben, dann kommt die Erkenntnis: Leichen, notdürftig mit Matten abgedeckt, wir sind geschockt.

ankunft (31)Die Fahrt geht nach einigen Kilometern in die Berge, da die Küstenstraße nicht mehr befahrbar ist. Im Dunkeln fahren wir über Feldwege und durch Wälder weiter bis Galle, einer durch den Tsunami ausgespülten Stadt. Nur wenig ist noch von der Touristenhochburg erkennbar. Menschen haben sich um offene Feuer versammelt und sind sichtbar traumatisiert.

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Nachts um 02:00h treffe ich Ulli Gag vom ZDF, er und ich schlafen im Freien auf der Terrasse eines teilzerstörten Hotelkomplexes – seit dem sind wir befreundet.

Am nächsten Morgen geht es früh mit der Erkundung weiter. Ergebnisse: Brunnen sind zerstört, die örtliche Wasserversorgung ist zusammengebrochen, also der klassische SEEWA- Einsatz steht an.

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Die Ergebnisse bringen wir Nachmittags nach Colombo, wo bereits die Voralarmierung der SEEWA veranlasst wurde, die SEEWA wird kommen.

Es werden nun die Vorbereitungen für den SEEWA-Einsatz getroffen. Werner beschafft LKW ́s zum Materialtransport. Erste Gespräche mit der Flughafenleitung und dem Zoll werden vorgenommen. Ich reise nochmals mit Werner nach Galle, um die Unterbringung der SEEWA einschl. Materialtransport zu organisieren. Die Helfer werden zuerst behelfsmäßig in einem notdürftig hergerichteten Hotel untergebracht.

Dann geht’s wieder zurück nach Colombo, die Strecke durch die Berge kennen wir bereits! Die SEEWA landet am 29.12.04 vormittags.

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Es gibt Schwierigkeiten mit dem Zoll (wie fast immer bei derartigen Katastrophen), da dieser natürlich auf Grund der Menge der hereinkommenden Helfer und Materialien total überfordert ist. Es dauert und dann geht’s doch!

Am späten Abend dann kann es Richtung Süden gehen. Es wird eine Fahrt durch die Nacht über Landstraßen, Feldwege, da die Küstenstraße immer noch nicht frei ist.

Am Morgen sind wir in Galle und die Arbeit wird vom SEEWA-Team unverzüglich aufgenommen. Die örtlichen Behörden sind kooperativ, aber immer noch nicht vollständig einsatzfähig.

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Max Berthold als EL der SEEWA übernimmt den Einsatz und Werner und ich können zurück nach Colombo, wo andere Aufgaben auf uns warten – aber zuerst einmal ein paar Stunden Schlaf –.

Werner fliegt ein paar Tage später nach Hause, er hat den einzigen freien Sitzplatz in einem Flugzeug nach Europa ergattert. Ich bleibe noch in Colombo und organisiere den Nachschub für das SEEWA-Team.

Es wird Silvester in Colombo „gefeiert“. Die Stadt, das ganze Land trägt Trauer, kein sonst übliches Feuerwerk!

Ich könnte Anfang Januar zurück fliegen, wenn da nicht noch ein Erkundungsauftrag der THW-Leitung wäre: „Bitte erkundet die Situation im Osten des Landes, an der durch den Tsunami am meisten betroffenen Region des Landes!“.

Matthias Hallekamp war mittlerweile in Colombo zur Unterstützung angekommen.

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Wir, Matthias Hallekamp, Thomas Wiedemann und ich machen uns am 03.01.2005 auf den Weg in den Osten Sri Lankas. Außer, dass wir durch das umkämpfte Tamilengebiet mussten, hatten wir keine weiteren Informationen über die Lage im Osten. Mit einem gemieteten Jeep geht es quer durchs Land nach Batticaloa an der Ostküste.

Die Checkpoints der Tamilen sind verlassen, so dass wir ungestört durchfahren können. Rechts und links der Straße gibt es gelbe Bänder und Zeichen > Mines <. Das kannten wir vom Balkan!

Wir lassen uns bei einer Rast (Reparatur eines Autoreifen) auf dem Basar, als Zeichen der Trauer, eine weiße Fahne nähen und befestigen diese an unserer Autoantenne.

Reifenreparatur in Mahinyangana

Reifenreparatur in Mahinyangana

Die Menschen reagieren sofort darauf und sind sehr freundlich zu uns, trotz der Tragödie, die sie erlebt haben.

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Im Osten treffen wir auf nicht mehr existierende Ortschaften, meilenweit zerstörte Häuser, Straßen, Infrastruktur und unendlich viele traumatisierte Menschen. Einsatzoptionen für das THW und für die SEEWA gibt es hier nicht mehr.

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Es gab meilenweit keine Siedlungen mehr, alles ist weg gespült.

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Eine Nacht in einer „landesüblichen Unterkunft“ und dann geht es wieder zurück nach Colombo.

Ein Wiederaufbauprogramm für die Überlebenden wäre im Osten nötig. Wir berichten entsprechend an die Leitung.

Meinen 56. Geburtstag feiere ich am 5. Januar wieder in Colombo!

Dann am 07.01.05 ein Sitzplatz in einem Flugzeug zurück nach Deutschland und wieder in mein „normales Leben“ Der Einsatz ist für mich zu Ende.

Es bleiben die Eindrücke zu der unendlichen Tragödie, verursacht durch den Tsunami, die ich bis heute im Kopf habe und die ich zum Teil mit diesem Bericht erneut weiter aufarbeite.