Dez

2014

Johannes Roller: Der Ur-GKW

Mit der Einführung des „Motorisierten Bereitschaftszugs“ erhielt die Technische Nothilfe auch den ersten einheitlichen Bereitschaftswagen: den Büssing-NAG 30 L „Burglöwe“.

Grundlage für die Entstehung des „Ur-GKW“ war die Verfügung des Reichsamtes Technische Nothilfe vom 22. April 1937 über die Aufstellung „motorisierter Bereitschaftszüge“. Sie sollten nicht nur die Schlagkraft der TN erhöhen, sondern auch ihr Image aufpolieren, wie ein Zitat aus der Hauszeitschrift „Die Räder“ (Heft 18 vom 16. September 1937) belegt: „Nach dem Eindruck, den diese Männer auf Behörden und Bevölkerung machen, wird man die gesamte TN beurteilen.“

Der motorisierte Bereitschaftszug (mot. BZ.) setzte sich wie folgt zusammen: ein Führer, zwei Arbeitsgruppenführer, drei Kraftfahrer und 18 Nothelfer. Zwecks Außenwirkung sollten die Führer und Kraftfahrer stets im Dienstanzug erscheinen, die Mannschaften dagegen im Arbeitsanzug. Der Fuhrpark des Zuges bestand aus einem Pkw, in dem der Führer und drei Mann (einschließlich Fahrer) saßen, und einem Lkw, auf dem 20 Mann (einschließlich Fahrer), das gesamte Gerät und ein Fahrrad Platz finden mussten.

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Bereitschaftswagen im Einsatz

Dafür brauchte die TN einen gut motorisierten Lkw mit Sonderaufbau – bis zu dessen flächendeckender Einführung noch „geraume Zeit“ verstreichen würde, wie der Autor in der zitierten Die-Räder-Ausgabe bekennt. Vorerst mussten die Bereitschaftszüge also weiterhin mit dem bisherigen, bunt gemischten und in Eigenleistung aufgebauten Fuhrpark leben.

Letzterer sollte allerdings „den Anordnungen des Reichsamtes TN entsprechen“. Zur Überbrückung von Engpässen konnte die TN auch auf ausgemusterte Polizeifahrzeuge zurückgreifen, die denen des mot. BZ. ungefähr entsprachen. Kauf und Unterhalt der BZ-Lkw sollte zudem dadurch erleichtert werden, dass mehr als sieben Personen fassende Fahrzeuge steuerfrei waren.

TENO Salzburg

Fahrzeug „Salzburger Stier“ aus dem TN-Standort Salzburg

Die Suche nach einem geeigneten Lastwagen-Typ fand auf der Automobilausstellung 1937 in Berlin statt. Die Wahl fiel zunächst auf den Büssing-NAG 25 L. Er trug, wie alle leichten Schnell- Lastwagen mit Vergasermotor von Büssing-NAG, die Zusatzbezeichnung „Burglöwe“. Das „L“ stand für ein langes Fahrgestell, die 25 für 2,5 Tonnen Nutzlast. Letztere erwies sich aber als zu gering. Also fiel die Wahl auf den großen Bruder, den Büssing-NAG 30 L (später „300 L“) mit drei Tonnen Nutzlast. Er bot gute Boden- und Bauchfreiheit, war aber nicht geländegängig.

Der Rahmen bestand aus zusammengenieteten Stahlträgern. An den Längsträgern saßen vorne und hinten je zwei Zughaken. Der Burglöwe hatte eine Anhängerkupplung für drei Tonnen Zuglast. Das zulässige Zuggesamtgewicht betrug 9,8 Tonnen. Über einen Nebenantrieb konnte der Motor ein Spill mit vier Tonnen Zuglast bewegen. Die Seiltrommel saß im hinteren Teil des Rahmens, hinter den Blattfedern der Antriebsachse.

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Fahrzeug „Deutschland“ aus dem TN-Standort Berlin auf dem Hof des Aufbauherstellers Carl Metz

Das Führerhaus des Bereitschaftswagen entsprach der Serienkabine: mit v-förmiger Windschutzscheibe, Kurbelfenstern, Scheibenwischern, Öldruckmanometer, Geschwindigkeitsmesser, Kilometerzähler, Benzinuhr, Kühlwasserthermometer und Kontrolllampe fürs Fernlicht. Die einzigen Besonderheiten waren der Kartentisch und die Führerleselampe beim Beifahrersitz. Blaulicht, Horn oder drehbarer Arbeitsstellenscheinwerfer – Fehlanzeige. Ein Indiz dafür, dass für die TN – im Gegensatz zu Feuerwehr und Polizei – keine Sonderrechte im Straßenverkehr gelten sollten. Auf dem Kabinendach war lediglich das für anhängertaugliche Lkw vorgeschriebene aufklappbare Warndreieck angebracht.

Gleichwohl war die TN bereits der Polizei unterstellt und trug das „Pol“-Kennzeichen. Auch die Lackierung der TN-Fahrzeuge sah entsprechend aus: dunkelgrüne Karosserie und schwarzes Fahrgestell inklusive schwarzen Kotflügeln und Scheinwerfern. Was den BZ-Lkw auffällig von den übrigen Behördenfahrzeugen unterschied, war ein etwa 30 Zentimeter breiter silberner Streifen, der die Bordwände zierte. Auch der Hoheits-Adler auf Fahrer- und Beifahrertür war – wohl aus Gründen der Öffentlichkeitsarbeit – besonders groß gestaltet.

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Fahrzeug „Trausnitz“ bei der Abnahme und feierlichen Indienststellung des mot. BZ am 23.04.1939 in Landshut

Besondere Aufmerksamkeit verdient der von Metz gefertigte hölzerne Spezialaufbau: Die beiden Einstiege für die Nothelfer befanden sich rechts und links im hinteren Teil – nicht mittig im Heck, da dort der Ersatzreifen und das Meldefahrrad hingen. Auf der Pritsche waren zwei lange Bänke montiert, auf denen sich je 10 Mann gegenüber saßen. Als Rückenlehne fungierten die nach oben aufklappbaren Oberkästen, in denen Sanitäts-, Gasschutzausrüstung, Lampen, Sicherheitsgurte, Kochgeschirre, Zeltstäbe und Leinen verstaut waren.

1939

Fahrzeug mit geöffneten Materialfächern

Dann gab es vier Rückwandkästen, in denen Fernsprechkabeltrommeln, Speiseträger und Trinkbecher, Eimer, Lampen sowie der große Seilflaschenzug steckten. Auch im Pritschenboden verbargen sich Staufächer für lange Gegenstände wie Dreibock, Einreißhaken, Hebebaum und Bockwinde.

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Rechte Fahrzeugseite

Unter den Oberkästen befanden sich schließlich die von außen zugänglichen Seitenkästen. Sie waren mit Stahlblech ausgeschlagen und beinhalteten alle einsatzrelevanten Werkzeuge und Ausrüstungsgegenstände. Welche genau das waren, darüber gibt der Artikel von Dr. Gruschka in „Die Räder“ leider keine Auskunft. Auf den wenigen erhaltenen Fotos sind aber Taue, Ketten, Stahlseile, Spaten sowie Holz-, Stein- und Metallbearbeitungswerkzeuge zu erkennen.

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Linke Fahrzeugseite

Alle Fächer ließen sich mittels Hauptschlüssel beziehungsweise Vorhängeschlössern verriegeln. Der Lkw konnte entweder offen oder – mittels Zeltplane und Spriegel – geschlossen gefahren werden. Im Einsatz ließ sich zudem an der linken Seite ein Zelt anbauen.

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Fahrzeug „Trausnitz“ aus dem TN-Standort Landshut beim Einsatz (11-15.03.1943) nach einem Luftangriff auf München

Der Eindruck, dass der BZ-Lkw hoffnungslos überladen war, täuscht nicht. Auch die Unterbringung von Mannschaft plus Geräten auf der Pritsche war nicht zukunftsträchtig – trotz des ausgeklügelten Staufachkonzepts. Schließlich gab es damals schon Feuerwehrautos mit Doppelkabine und separatem Gerätekoffer. Fehlende Haushaltsmittel und der Beginn des Zweiten Weltkriegs verhinderten dann die flächendeckende Einführung dieses ersten einheitlichen „GKW“.

Technische Daten:

Büssing NAG 30 L Burglöwe

Sechszylinder-Vergasermotor mit 75/80 PS, 1,2-PS-Anlasser, 12-V-Lichtmaschine Hubraum: 4 l
Drehzahl: 2500 U/min
Höchstgeschwindigkeit: 73 km/h

Verbrauch: 20 l (Benzin) auf 100 km Ölverbrauch: 0,8 l auf 100 km 95-Liter-Kraftstofftank

Prometheus-Getriebe mit vier Vorwärtsgängen und einem Rückwärtsgang

Tragfähigkeit Fahrgestell: 4 t
Achsstand: 4.700 mm
Bodenfreiheit, Mitte Hinterachse: 215 mm Achsübersetzung Hinterachse: 1:6,7 Zulässiges Gesamtgewicht: 6,8 t Zulässiges Zuggesamtgewicht: 9,8 t Nutzlast: 3 t

Text und Recherche:

Johannes Roller – THW Ortsverband Calw

Bildmaterial:

THWHS-Bildarchiv – Neuhausen

Firmenarchiv Carl Metz  – Karlsruhe

Quellen: 

Zeitschrift „Die Räder“ Mitteilungsblatt der Technischen Nothilfe

Erich Hampe / Dermot Bradley „Die Unbekannte Armee“ Biblio Verlag 1979